Politicum

Der demokratisch nachhaltige
Nachrichtenaggregator

Gestaltet für:
FH Potsdam

Betreut durch:
Prof. Reto Wettach
Prof. Dr. Frank Heidmann

Entstehungsjahr:
2017

Ausgangslage

Das Internet wird seit seiner Kommerzialisierung Anfang der 90er Jahre als das demokratische Medium gefeiert, das den Menschen freien Zugang zu jeglichen Informationen ermöglichen und ihnen zugleich die Plattform zur Verbreitung eigener Inhalte und Meinungsäußerungen bieten sollte. Schnell wurde allerdings klar, dass der entstandene Informationsüberfluss nur zu bewältigen sei, wenn die zur Verfügung stehende Informationsmasse mittels Algorithmen vorsortiert und -gefiltert würde. Seit etwa 2009 wurden diese Algorithmen dahingehend verbessert, dass persönliche Nutzerinformationen in die Formeln einflossen, um Suchergebnisse noch besser auf die Belange des individuellen Einzelnutzers anpassen zu können. Hier zeichnete sich jedoch ein entscheidender Interessenkonflikt ab: Auf der einen Seite steht das Ideal des demokratischen Mediums, während auf der Anderen die neuen Intermediatoren klar finanzielle Interessen verfolgen. Denn je besser die Personalisierung einer Seite, desto mehr Klicks und (Werbe-) Einnahmen werden generiert. Inzwischen stehen den Urhebern der Algorithmen so viele unterschiedliche Daten über ihre Nutzer zur Verfügung, dass die Filterung stark segregierend wirkt. Als Ergebnis beobachten wir vielerorts tief gespaltene Gesellschaften, in denen, wer am lautesten schreit, die öffentliche Meinung am meisten beeinflussen kann. Zuletzt entfachten auf diese Weise das britische Votum zum EU-Austritt des Vereinigten Königreichs im Juni und die amerikanische Präsidentschaftswahl im November 2016 eine erneute Debatte über die zunehmende Personalisierung und ihren Einfluss auf die politische Meinungsbildung. So war zu beobachten, dass die automatisierte (und zugleich versteckte) Kategorisierung von Subjekten und die entsprechende Filterung von Informationen unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Akteure des demokratischen Prozesses hatten. Vor allem aber ist der politische Diskurs durch den künstlich beschränkten Zugang eines Nutzers zu Informationen außerhalb seiner eigenen Interessens- und Meinungssphäre gefährdet.

Demokratie verlangt, dass man Dinge aus den Blickwinkeln anderer sieht, doch wir sind immer mehr in unseren eigenen kleinen Welten gefangen. Demokratie verlangt gemeinsame Grundsätze, aber man setzt uns in parallele, aber getrennte Universen.

Eli Pariser

Konzept

Aus diesem Grund war es mir ein Anliegen, ausgehend von der Analyse der Thematik sowie der Probleme und Bedürfnisse verschiedener Akteure im Kontext politischer Informationsdienste, prototypisch einen diskursförderlichen Nachrichtenaggregator zu gestalten. Gerade bei emotional aufgeladenen Themen ist es demnach wichtig, alle Meinungslager gleichermaßen vertreten zu sehen. Sie vergleichen und gegenüberstellen zu können, bedeutet für den Nutzer, die Argumente (und nicht-Argumente) beider Seiten kennenzulernen und sich auf dieser Grundlage eine eigene Meinung bilden zu können, ohne sich dabei isoliert zu fühlen.

Prozess

Nachdem ich mich intensiver mit den zugrundeliegenden soziologischen Phänomenen (u.a. Information Overflow, Attention Crash, Disintermediation, Filterblasen, Echo Chambers, Öffentliche Meinungsbildung, Schweigespiralen) und aktueller Medienforschung auseinandersetzte, formulierte ich auf der Grundlage meiner Erkenntnisse in einem Satz meine Ziele für einen zeitgemäßen, ethischen Intermediationsdienst:

Die wirtschaftliche Mediation wertvoller und wertfreier politischer Information zur Diskursförderung einer möglichst breiten Personengruppe.

Ziele

Darin stecken die folgenden fünf Ziele auf die ich mich in jeweils einwöchigen Google Design Sprints konzentrierte und einen stetig wachsenden high-fidelity Prototypen erstellt und getestet habe. Dieser Prozess verlief jedoch etwas chaotischer, da die einzelnen Themenbereiche nicht immer so scharf voneinander abzugrenzen waren. Die Erkenntnisse aus einem Sprint ließen sich mitunter besser auf einen anderen Bereich anwenden.

Breite Zielgruppe

Für welches Gerät sollte ich gestalten, um eine möglichst breite Zielgruppe anzusprechen? Welche Zielgruppe ist aus welchem Grund überhaupt interessant für dieses Projekt? Welche Quellen und welche Informationen sollte ich berücksichtigen um möglichst viele Nutzer anzusprechen? In welchen Formaten sollten die Informationen bereitliegen? Wie mit der Staffelung von Kategorien/Dossiers, Themen und Artikeln umgehen?

Wirtschaftlichkeit

Nachrichtenaggregation bietet einen Mehrwert, für den Menschen bereit sind Geld auszugeben. Welche Einnahmequellen sind für den Dienst denkbar? Welche Anreize könnte ein Bezahldienst bieten? Wie kriegt man die Nutzer dazu in ein Abbonnement-Modell zu wechseln? Wie viel wären Nutzer bereit auszugeben? Wie funktioniert das Registrierungs- und Anmeldeverfahren?

(Bildungs-)Wert

Sensible Nachrichtenaggregation und kuratierte Bündelung fördert Serendipität. Wie sollte ein Artikel für das jeweilige Trägermedium aufgebaut sein? Wie lang und ausführlich darf er sein? Wie können Artikel anders als in klassischen Ressorts sinnig zusammengestellt werden? Wie breit sollten die Themen gestreut sein? Welche Themen sind verkaufsfördernd?

Wertefreiheit und Diskursförderung

Gegenüberstellende und vergleichende Berichterstattung schafft intersubjektive Wertfreiheit und fördert Toleranz sowie rationalen Diskurs. Wie kann konstruktiver Diskurs hergestellt werden? Wie verhindert man defätistische Trotzreaktionen des sich ins Abseits gestellt fühlenden Nutzers (»Lügenpresse«)? Welche Werkzeuge benötigt ein Diskurs innerhalb der Applikation?

Mediation als Filterung

Manipulierbare Filterung ist im alltäglichen Nachrichtenkonsum unbrauchbar. Nach welchen Kriterien werden Themen und Artikel ausgesucht? Wie breit sollte das Spektrum in Betracht gezogener Meinungsdarstellungen sein? Wie umgehen mit Fake-News? Wo macht es Sinn den Nutzer zur manuellen Filterung zu befähigen? Wann wird es zu komplex?

Gestaltung

Themenkarussell

Themen werden bei Politicum in einem bildschirmfüllenden horizontalen Karussell angeboten. Ist der Nutzer über WLAN mit dem Internet verbunden, wird anstatt des statischen Hintergrundbildes ein tonloses Video vollflächig abgespielt. Das Info-Overlay zeigt neben dem Thema die Überschrift des aktuellen Artikels, sowie dessen Quelle und Veröffentlichungszeit an. Am unteren Rand des Overlays finden sich Metadaten, die anzeigen, wie lang der Artikel ist (gemessen in Lesedauer), sowie die Häufigkeit, wie oft der jeweilige Artikel von vorherigen Lesern als »wichtig« (grünes Ausrufezeichen) oder als »fragwürdig« (rotes Fragezeichen) eingestuft wurde.

Menu

Im Menu kann der Nutzer seinen Account verwalten, den er benötigt um Kommentare verfassen zu können, oder sich gleich bei Politicum Premium anmelden, der kostenpflichtigen Abonnementvariante des Dienstes. Außerdem stehen ihm hier Einstellungsmöglichkeiten für Regionalnachrichten, Videoqualität und Benachrichtigungen zur Verfügung. Darüber hinaus finden sich hier jederzeit die Angaben zu Impressum und Datenschutz zum Nachlesen

Interaktionen

Durch wischen nach links gelangt der Nutzer zum nächsten Thema und wischen nach rechts führt zum Vorherigen. Die Punkte am oberen Rand indizieren die Paginierung und geben Auskunft darüber, wie viele Themen aktuell in der jeweiligen Kollektion behandelt werden. Wischt der Nutzer über das erste oder letzte Thema einer Kollektion hinaus landet er automatisch in der vorherigen oder nächsten Kollektion. Der Pfeil am unteren Bildrand zeigt dem Nutzer an, dass durch swipe nach oben oder tap in dieser Region der Artikel in den Viewport geholt werden kann. Bei einem Tap oberhalb dieses Bereichs blendet sich die Navigationsleiste ein oder aus in deren rechter Ecke sich, durch Tap auf das Hamburger-Icon, das Menu öffnen lässt.

Kollektionen

Bei der Auseinandersetzung mit der Kategorisierung von Nachrichteninhalten sind mir bei den klassischen Nachrichtenhäusern vor allem zwei Dinge aufgefallen. Zunächst das Positive: Bei dem Online-Nachrichtenangebot der Sueddeutschen und der New York Times wird zu Beginn fast jeden Textes, der Kontext zum Artikelinhalt kurz und sachlich in Stichpunkten dargelegt. Dies hilft ungemein dabei, schnell in ein Thema reinzufinden und bietet bei Interesse gleichzeitig, durch Verlinkungen zu den entsprechenden Artikeln, die Gelegenheit, tiefer in den Kontext einzutauchen. Dieses Prinzip wird in Politicum ebenfalls aufgegriffen. Allerdings habe ich diesen Block »Kontext und Hintergründe« etwas ausführlicher gehalten und, um den Lesefluss nicht zu stören, am Ende des Artikels platziert. Die negative Auffälligkeit bestand in der Art und Weise, wie die Nachrichtenmedien ihre Artikel in den klassischen Ressorts einsortieren. Das hat natürlich seine Bewandtnis, aber derart starre Strukturen sind der Serendipität nicht förderlich. Deshalb entschloss ich mich – inspiriert von Diensten wie Spotify und Netflix – die Themen in wesentlich weicheren Kategorien zu organisieren, die ich, wie oben bereits beschrieben, als Kollektionen bezeichne. Jede Kollektion besteht aus einem kuratierten Karussell von Themen, die bestimmte Gemeinsamkeiten haben, die sich jedoch nicht unbedingt auf das Ressort beziehen müssen. Um die Kategorie zu wechseln muss der Nutzer lediglich in der Navigationsleiste auf das Dropdown tappen.

Artikel

Politicum verfolgt folgende Prinzipien: Es werden alle Standpunkte zu einem Thema absolut gleichwertig behandelt. Das bedeutet, zunächst mal ist die mengenmäßige Gleichwertigkeit geboten. Jeder Standpunkt zu einem Thema muss genau ein mal vertreten sein. Die Artikel, die Politicum einander gegenübergestellt, werden von Redakteuren ausgewählt, unter der Vorgabe, den stärksten Artikel des jeweiligen Standpunktes aus dem Fundus ausfindig zu machen. Die Artikel sollten dabei in etwa die gleiche Länge haben. Bei der Gegenüberstellung der Artikel zum selben Thema, wird ihre Reihenfolge zufällig generiert. Die Bewertung der Artikel geschieht einzig durch die Nutzer. Sie können sowohl den ganzen Artikel, als auch einzelne Textpassagen als »wichtig« oder als »fragwürdig« kennzeichnen. Beide Wege der Kennzeichnung beeinflussen den Zähler im Info-Overlay im Themenkarussell.

Kommentare am Text

Um einzelne Textstellen mit Zu- oder Widerspruch zu kommentieren, kann der Nutzer die entsprechende Stelle im Text markieren und im Popover eine der beiden Optionen auswählen. Im Anschluss wird diese Textstelle aus dem Artikel herausgehoben und als Zitat in ein Chatfenster übertragen. Der Nutzer kann hier seinen Kommentar hinterlassen oder den Vorgang wieder abbrechen. Kommentierte Stellen im Text werden durch einen entsprechend farbigen Balken am rechten Textrand markiert . Durch Tap auf einen solchen Balken öffnet sich das Chatfenster. Alle Kommentare werden jedoch auch unterhalb des Aritkeltextes im Kommentarbereich noch einmal zusammengefasst dargestellt.

Filterung

Indem ich für die Kollektion »Kontrovers« der Navigationsleiste zwei Reiter hinzufügte, über die der Nutzer zwischen zwei verschiedenen Quellen zum selben Thema hin und her wechselt, kann er diese, wie in Kapitel 4.4 beschrieben, miteinander vergleichen. Standardmäßig werden die beiden Quellen – für jedes Thema individuell – automatisch gesetzt. Die Politicum-Redaktion wählt diese im Vorhinein für das jeweilige Thema danach aus, wo die interessantesten Unterschiede in der Berichterstattung auftreten. Die Quellen können jedoch auch manuell ausgetauscht werden. Mit einem Long Tap auf einen der Quellen-Reiter öffnet sich ein Dropdown-Menu mit den optionalen Quellen. Ein weiterer Sonderfall sind die Regionalnachrichten. Hier kann der Nutzer, falls er die automatische Standortermittlung ausgeschaltet hat, im Menu manuell eine Stadt oder eine Postleitzahl, sowie einen Umkreisradius definieren, woraufhin die Regionalen Nachrichten diesen Einstellungen entsprechend aufgerufen werden.

Kontakt

Keine falsche Zurückhaltung, ich freue mich von Dir zu hören! Alternativ findest Du mich auch auf LinkedIn oder Behance. Let’s Connect!

Marc Heiland
Brunnenstr. 155D
10115 Berlin
+49 177 4150918