gabbo
Die (typo)grafische Smartwatch
In Zusammenarbeit mit:
Lionel Michel
Gestaltet für:
FH Potsdam
Betreut durch:
Prof. Matthias Krohn
Entstehungsjahr:
2014
Konzept
gabbo ist ein textbasiertes UI-Konzept für eine Smartwatch als Companion-Device zum Smartphone. Der User wird kontinuierlich über den Tag mit kontextsensitiven Push-Mitteilungen in Form von kurzen persönlichen Ansprachen begleitet. Diese beziehen sich auf Daten aus seiner Cloud (z.B. Kalender, Live-ÖPNV-Daten) und seiner geografischen Position. Sämtliche Services integrieren sich nahtlos und in Echtzeit in den Mitteilungsfluss, sodass der User sie nicht aktiv abrufen, beziehungsweise aktualisieren muss. Wir zelebrieren diesen Ansatz sogar soweit gehend, dass wir vollständig auf Menüs und Icons vezichten. Das hat den Vorteil, dass gabbo nicht bei wachsender Funktionalität ebenso an Komplexität zunimmt. Denn die Funktionen verstecken sich so lange, bis der Nutzer in die Situation kommt, sie zu benötigen. Diese Tatsache bewirkt gleichzeitig einen sehr spielerisch explorativen Umgang mit gabbo, wenn der Nutzer in unerwarteten Situationen einen Service oder einen Kommentar der Uhr empfängt. Neue oder verbesserte Services können so mit einem Software-Update nahtlos in den Mitteilungs-Fundus einfließen und bereichern das gabbo-Erlebnis eher, als dass sie es verkomplizieren. Der spielerische Charakter von gabbo wird außerdem dadurch unterstützt, dass dem User verschiedene Charakterversionen zur Auswahl stehen. Über sein Smartphone kann er beispielsweise bequem von der seriösen auf eine freche Version von gabbo wechseln, wodurch ihn dann ein forscherer Umgangston erwartet.,
Prozess
Um einen Einstieg in das Thema Smartwatches zu finden, begannen wir zunächst mit einwöchigen Cultural Probes. Dabei wurde unter anderem der Umgang mit Uhren und Zeit im Allgemeinen untersucht, sowie Feature-Wünsche im Kontext des Wochenablaufs gesammelt. Außerdem analysierten wir aktuelle Smartwatches und Wearables auf konzeptionelle Ausrichtung, Funktionen und Features, verwendete Technologien und erkennbare Defizite. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden in einer Mindmap festgehalten. Nachdem die Entscheidung zugunsten des Grundkonzepts des dialogbasierten Interfaces gefallen war, analysierten wir anhand einer User Journey den Tagesablauf eines fiktiven Nutzers und entwickelten für die wichtigsten Szenarios entsprechende Kontextdialoge in zwei Varianten (seriös und frech). Diese wurden außerdem hinsichtlich ihres Informationsbedarfs (welche Informationen werden benötigt und woher kommen sie) sowie der Möglichkeiten der Interaktion und des Lernens der Software (A.I.) untersucht. Der Designprozess war von vielen detailtypografischen und mikrografischen Entscheidungen geprägt, die immer wieder in Realgröße getestet werden mussten. Dazu wurden die Screens immer wieder auf dem iPhone Retina Display sowie papierprototypisch am Handgelenk getestet. Als vorläufiges Endergebnis entstand neben einem Konzeptpapier ein klassischer Walkthrough eines exemplarischen Morgens mit Weg zur Arbeit in Einzelscreens, der anschließend in einem Videoprotoypen veranschaulicht wurde.
Zeitverständnis
Aus den Cultural Probes, die im Vorfeld der Konzeption angefertigt und analysiert wurden, ging unter anderem hervor, dass die meisten Probanden häufiger auf die Uhr sahen, wenn sie einen bevorstehenden Termin hatten. Hatten sie hingegen einen freien Tag oder keine Folgetermine, achteten sie bedeutend seltener und teilweise gar nicht mehr auf die Zeit. Weiterhin konnte beobachtet werden, dass die Zeit an sich häufig nebenrangig war, denn sie wurde meist in Relation zu einem Kontext ›umgerechnet‹. Ein Beispiel: Es ist 14:00 Uhr und ich habe mich vorher dahingehend informiert, dass ich um 14:15 Uhr aufbrechen muss, um pünktlich anzukommen. Für mich ist also nicht interessant, dass jetzt 14:00 Uhr ist, sondern lediglich die Rechnung, dass ich in fünfzehn Minuten los muss. Dieses Zeitverständnis haben wir in unserer Uhr umgesetzt, indem wir die relative ›Kontextzeit‹ als primäre Zeitanzeige verwenden und die absolute Zeit als sekundäre Zeitdarstellung hinten anstellen, die nur dann ungefragt hervortritt, wenn kein Kontext gegeben ist. Darüber hinaus bewerten wir die Kontextzeit qualitativ, indem wir mittels eines farblichen Ampelsystems und haptischer sowie akustischer Vibrationssignale die Dringlichkeit des Kontextes vermitteln. Um bei dem vorherigen Beispiel zu bleiben, würde gabbo. um 14:00 Uhr, also 15 Minuten vor dem losgehen, die Kontextzeit auf grünem Hintergrund darstellen, zehn Minuten vorher kurz vibrieren und auf gelben Hintergrund sowie eine Minute vorher stärker vibrieren und auf einen roten Hintergrund wechseln.
UI-Modell
Das User Interface von gabbo basiert auf einem 3-Ebenen-Modell, wobei die Ebenen nach Dringlichkeit und Benutzungshäufigkeit geordnet sind. Navigiert wird zwischen den Ebenen mittels gewohnter Single-Touch-Gesten auf dem Display.
Ganz unten in dieses Ebenen-System ordnet sich die Darstellung der absoluten Zeit (mit Datumsanzeige) ein. Wie in dem Abschnitt ›Zeitverständnis‹ beschrieben, legen wir weniger Wert auf diese Zeitdarstellung und lassen Sie nur durch aktives Eingreifen des Nutzers oder bei Fehlen eines Kontextes hervortreten. Eine Ebene darüber liegt die ebenfalls erwähnte ›Kontextzeit‹. gabbo nutzt Informationen aus der Smartwatch-Sensorik (z.B. Bewegungs- und Beschleunigungssensoren), der User-Cloud (z.B. Kalendereinträge) und aus einer Datenbank an location-based Services (z.B. Navigation), um den besagten ›Kontext‹ möglichst pausenlos und exakt bestimmen zu können. Angezeigt wird dann je nach Kontext die Zeit bis zum Losmüssen unter Einberechnung der Wegzeit oder die Wegzeit selber, also wie lange der Nutzer bei aktuellen Gegebenheiten (z.B. Verkehrslage, ÖPNV-Verbindung, …) noch bis zum erreichen seines Ziels braucht.
Interaktionskonzept
Über der Kontextzeitebene liegt in der ›Dialogebene‹ das Herzstück und Sprachorgan von gabbo. Passend zum Nutzungskontext werden hier mal informative, mal unterhaltsame Kommentare in einer Mitteilungskette zum Besten gegeben. Die Anzahl der Kettenglieder wird durch kleine Punkte am rechten unteren Bildrand dargestellt, maximal können sich jedoch fünf Mitteilungen in dem Fluss aufstauen. Ist eine Mitteilung gelesen, wird sie nach links aus dem Display gewischt, wodurch sie unwiederbringlich gelöscht wird, und das nächste Glied aus der Nachrichtenkette nimmt ihren Platz ein. Mit einem Wisch nach rechts kann der Nutzer – etwa wenn er nicht gestört werden will – die komplette Mitteilungskette auf einmal löschen.
Je nach Bedeutsamkeit verhalten sich die Mitteilungen unterschiedlich. Unwichtige Kommentare verbleiben nur eine gewisse Zeit in dem Fluss und löschen sich bei Nichtbeachtung mitunter schon nach wenigen Sekunden selbst. Wenig wichtige Kommentare warten so lange auf Ihre Entdeckung durch den Nutzer, wie ihr Kontext bestehen bleibt. Mitteilungen, die Aufgrund einer immanenten Dringlichkeit als besonders wichtig erachtet werden, sortieren sich nicht nur ganz vorne in die Kette ein, sondern machen auch durch Vibration (und im absoluten Ernstfall sogar durch akustische Signale) der Uhr auf sich aufmerksam.
Die Nachrichten der Dialogebene können auch Interaktionen des Nutzers abverlangen, wenn sie zum Beispiel Fragen beinhalten. Es handelt sich dann zumeist um einfache ja/nein-Fragen mit anschließender Listenauswahl. Ein Beispiel wäre der Fall, dass die Zugverbindung des Nutzers ausfällt und er gefragt wird, ob er eine alternative Verbindung haben möchte. Bei Bestätigung bekommt er dann eine Liste an Verbindungen, aus denen er eine auswählen kann.